Wo bin ich – und wer bitte ist Jérôme?

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Ich bin Ben. 15 Jahre alt, Schüler aus Ingolstadt, bekennender Langschläfer, Pizza-Connaisseur, und – bis gestern – relativ normal unterwegs. Bis ich heute Morgen aufwachte. In einem Bett, das nicht mein Bett war. In einem Zimmer, das roch wie ein Mix aus Lavendel, Schafskäse und Minz-Duschgel. Ich schaute zur Decke – Stuck! Wie im Museum! Und durch das Fenster sah ich den Eiffelturm.

Moment mal. Den Eiffelturm?! Oder ist es nur das Gerüst am Apian? Nein. Tatsächlich! Der Eiffelturm!

Ich sprang aus dem Bett, rannte zum Spiegel – und schrie fast laut los:
„WER. ZUM. HENKER. IST. DAS?!“ 

Ich war jetzt – laut Schülerausweis auf dem Schreibtisch – Jérôme Dupont, 16, wohnhaft in Paris und Schüler am Lycée des Lumières. Als ich mich, noch immer zutiefst verdattert, im Zimmer umsah, musste ich trotz des Schocks grinsen. Ich – oder Jérôme – war wohl ziemlich beliebt, denn neben meinem Handy befanden sich nicht nur ein, sondern gleich zwei handgeschriebene Liebesbriefe. Aber, das konnte doch nur ein verrückter Traum sein. Davon war ich noch immer fest überzeugt – obwohl ich eben mein Spiegelbild sah: Dunkle Locken, stylischer Pulli, charmantes Grinsen – ich sah aus wie ein französischer TikTok-Star auf Austauschreise.

Ich musste rausfinden, was passiert war. Ich tappte durch die Wohnung – modern, stylisch –  und öffnete den Kühlschrank, denn auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich hier gelandet war, hatte ich trotzdem Hunger. Dort lagen 11 Sorten Käse, 5 davon so übel riechend, dass es sogar mir den Appetit verschlug. Dann vibrierte mein Handy.

Jérôme , dépeche-toi! Tu dois aller à l’école…

Oh stopp. Ich verstand kein Wort. Als ich die Nachricht in den Übersetzer eintippte erschien: Jérôme, beeil dich! Du musst zur Schule – deine Präsentation über „Existenzialismus in der modernen Popkultur“ ist heute dran! 😘- Maman

ICH SOLL WAS PRÄSENTIEREN?!

Eine Stunde später war ich dann auf Umwegen (ich hatte mich 5-mal fast verlaufen und hatte 20 Minuten gebraucht um meine Klasse zu finden), endlich im Klassenzimmer, vorne an der Tafel. Die Lehrerin nickte mir zu, aber in meinem Kopf herrschte nur Leere. Ich hätte auch über Quantenphysik auf Klingonisch referieren können- es wäre das Gleiche gewesen.

Ähm.. bonjour. Je suis… moi. Et.. euh.. le Popkultur est très existenzialistisch..oui?

Ausnahmslos alle starrten mich an. Glücklicherweise rief jemand aus der letzten Reihe (natürlich auf französisch): Ey! Jérôme redet wie ein Tourist. Das steckte die ganze Klasse an, die lauthals loslachte. Ich, rot wie eine Tomate, stolperte an meinen Platz zurück und wartete vergeblich auf das Ende der Stunde.

Die Pause sollte eigentlich ganz harmlos sein. Ich stand da mit einem Schoko-Croissant in der einen und einem halben Nervenzusammenbruch in der anderen Hand – immer noch verwirrt, weil ich im Körper von Jérôme steckte, französischer Vorzeigeschüler und laut Chatverlauf der Schwarm von mindestens vier Mitschülerinnen. Ich versuchte gerade, einen Automaten auf Französisch zu bedienen (Spoiler: Ich bestellte versehentlich Katzenfutter), als plötzlich eine Nachricht von meinem,  nein, Jérômes Insta-Profil aufploppte. Und zwar von mir … ach, nein … von Jérôme. Langsam wird mir das echt zu kompliziert. Trotzdem fiel mir ein kleiner Stein vorm Herzen, als ich die Nachricht sah und erkannte, dass ich doch nicht verrückt geworden war.

„Salut Ben, ich glaub, wir haben ein Problem. Ich bin heute früh nicht in meinem Zimmer aufgewacht, sondern, wie ich festgestellt hab, in deinem. Bist du in Paris? A+ ; Jérôme“

Ich wollte ihm gerade antworten, als zwei Schüler auf mich zukamen- ein großer, schlaksiger Typ mit langen Haaren und ein eher schüchtern wirkendes Mädchen mit Hoodie und nervösem Blick.

„Ich bin NICHT Pascal!“, rief der Große. „Ich bin Lena! Ich bin heute früh in seinem Körper aufgewacht!“

Das Mädchen neben ihm (also: ihm?) hob die Hand. „Und ich bin Pascal. Also … in Lenas Körper. Ich weiß nicht, wie man einen Zopf macht. Oder wie man mit Lenas kleiner Schwester redet, ohne dass sie ‚Was ist mit dir los?‘ fragt.“

Zum ungefähr 100ten Mal an diesem Tag hatte ich einen kleinen Herzinfarkt. Anscheinend waren Jérôme und ich nicht die einzigen, denen die Vertauschung passiert war. Irgendein Muster musste es doch geben. Zögernd trat ich auf die beiden zu, die genau wie ich heute Morgen völlig ausgetauscht waren.

Salut äh Hi, ‚tschuldigung, aber wo wart ihr, bevor das passiert ist?

Pascal/Lena kratzte sich am Kopf. „In Ingolstadt. Bei mir zu Hause. Ich hab‘ am Vorabend aus dem Fenster gesehen – da ist diese alte Turmuhr am Altstadtrand. Du weißt schon … die mit den römischen Zahlen, die nie richtig geht.“

Lena/Pascal nickte. „Die hat um Mitternacht plötzlich 13 Mal geschlagen. Ich dachte, ich hab‘ mich verhört!“

„13 Mal?“, fragte ich verwundert. Da konnte doch etwas nicht stimmen. Aber andererseits hatte ich diesen Gedanken schon den ganzen Tag. Pascal/ Lena warf ein: „Ok, verrückte Vermutung: kann es nicht sein, dass die Uhr etwas damit zu tun hat, dass wir hier sind?“ „So verrückt ist das gar nicht“, nickte Lena/Pascal.

Bevor ich antworten konnte, stieß mir im Augenwinkel ein kleiner Junge ins Auge, der seltsamerweise gerade eine Lesebrille aufsetzte und seinen Schnupftabak aus der Tasche zog. Ich winkte den anderen beiden um mitzukommen und ging auf den Jungen zu. Als dieser mich sah, weiteten sich seine Augen erfreut. „Ben!, Bist das du?“

Ich konnte meinen Augen kaum glauben, oder wohl eher meinen Ohren. Vor mir, im Körper eines Dreizehnjährigen befand sich mein Nachbar Herr Schröder. Trotz seiner etwas skurrilen Art, mochte ich ihn. Wenn jemand etwas über übersinnliches die-Turmuhr-schlägt-13-mal wusste, dann er. Nachdem ich ihm von unserer Überlegung erzählt hatte, schnappt er nach Luft.

„DAS ist sie! Die Horologe von Ingolstadt! Ich habe darüber mal in einem Regionalmythen-Buch gelesen: Wer um Mitternacht 13 Schläge vernimmt, bei dem wird das Schicksal neu bestimmt.“

Pascal und Lena starrten ihn an. Ich aber musste trotz allem laut lachen. Das war typisch Herr Schröder.

„Was? Ich lese sowas gern zur Entspannung“, verteidigte er sich.

Nun bestand kein Zweifel mehr: Die Uhr hatte uns vertauscht.

Jetzt standen wir da: Ein Junge im Körper eines Franzosen. Ein alter Mann in der Pubertät. Und zwei Schüler, die mehr über Gender-Erfahrungen lernten, als jede Schulstunde es je lehren könnte.

Und irgendwo in Ingolstadt tickt eine Uhr, die keine Ahnung von Logik hatte.

Fortsetzung folgt … vielleicht …?

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