Ben Beckett
In alten, vergangenen Zeiten hausten auf dem Planeten, den wir als unsere Heimat bezeichnen, zahlreiche Fabelwesen. Von Feen bis hin zu Zyklopen, sie alle kannten das grausame, aber amüsierende Turnier in einem gigantischen Stadion auf dem Gipfel des Lusen im Bayerischen Wald. Zwischen den riesigen Steinwänden der Arena konnte man alles Mögliche wahrnehmen: vom köstlichen Duft des Brathähnchens über geräuschvollen Jubel und leisen Geflüster bis hin zu dem spektakulären Kämpfen.
Ja – viele, wenn nicht alle, mochten es, ihnen zuzusehen, den Kriegern, die sich abmühten, um ein begeistertes Raunen durch die Zuschauer gehen zu lassen. Aber noch mehr wollten sie selbst auf dem Siegerpodest stehen, die glänzende Trophäe in die Höhe reißen und die Menge toben lassen. Zu diesen Hoffnungsträgern zählte der Riese Mr. Banana, dessen Namen er auf Grund seiner Vorliebe zu Bananen bekommen hatte.
Sein ganzes Leben widmete der Riese dem Training: schmerzhaftes, anstrengendes, aber effektives Training. Heute, ja, heute, heute war der Tag, an dem er sich beweisen konnte. Auch wenn er sich das schon unzählige Jahre zuvor eingeflüstert hatte, scheiterte er jedes Mal. Die Zyklopen-Kämpfe fanden jährlich statt und der Sieger stieg in die U-Klasse der Zyklopen-Krieger auf. U wie ultimativ, unübertrefflich, unbesiegbar. Dieser Gedanke zerschmolz auf Bananas Zunge wie eine süße, schmackhafte, exotische Frucht: Bananen. Ja, er liebte Bananen über alles.
Doch die Verlierer des Turniers, die Ausgeschiedenen, erlitten einen schmerzhaften Tod. Ihre kalten, seelenlosen Körper wurden anschließend von grimmigen, schauderhaft aussehenden Wachen in eine düstere, stinkende Grube geschliffen. Manche erzählten, man könne verzweifelte Schmerzensschreie hören, wenn man nachts an dem Verlies vorbeiging und gut lauschte. Andere behaupten, man könne ihre leisen Schritte und sogar die eiskalten Hände der gefallenen Mitstreiter wahrnehmen. Bei diesem Gedanken fühlte er sich selbstverständlich unwohl. Es schmeckte bitter und angsteinflößend auf seiner Zunge. Deshalb versuchte Banana schnellstmöglich an etwas anderes zu denken. „Ich kann das schaffen. Nein, ich werde das schaffen!“ Er war die ganze Zeit selbstsicher gewesen und das würde sich jetzt nicht wegen eines unheimlichen Gedankens ändern. Nein, im Gegenteil, es würde ihn anspornen härter zu kämpfen.
Heute war der Tag, an dem er sich bei dem Turnier anmelden konnte. Sonst war er immer an diesem Punkt gescheitert, doch diesmal war er zuversichtlich. Das war eine Art Vorsprechen, nur für Kämpfer, die ihr Talent und ihre Kraft beweisen wollten. Das Vorkämpfen, wie Banana es immer genannt hatte, war wie die echten Kämpfe, nur in einer weniger prunkvollen Arena und mit Holzwaffen. Außerdem starben die Verlierer keinen qualvollen Tod, was in Bananas Fall von Vorteil war, wenn man bedenkt, wie oft er dort schon gescheitert war. Plötzlich ertönte eine Stimme, die genervt sagte: „El Plátano bitte in die Kampfarena. Ich wiederhole: El Plátano bitte in die Kampfarena.“ Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. El Plátano, das war sein Name während des Kampfes, der Name, der später hoffentlich einmal berühmt werden würde. An den sich jeder vom Elfenkind bis zum ausgewachsenen Zyklopen erinnern würde, als den, der den Titel gewonnen hatte und nun mit den anderen Legenden in der U-Klasse Tee schlürfte.
Doch bis zu diesem Augenblick war es noch ein weiter, beschwerlicher Weg. Als er das mit wenigen Fackeln beleuchtete Stadion betrat, entdeckte er drei Preisrichter, die auf einer Anhöhe saßen und den Eindruck machten, an egal welchem Ort, nur nicht an diesem sein zu wollen.
Das Gebäude glich eher einem Raum als einer Arena. In dem dunklen, karg eingerichteten Raum schien es, als dämmerte es draußen schon. Da entdeckte Banana auch schon seinen Gegner: ein grün angezogener Kobold, wie er im Buche steht. Kobolde sind zwar nicht die größten, dafür aber ziemlich flink. Banana war sich sicher, dass er ihn mit ein paar Hieben k.o. schlagen konnte. Und tatsächlich: Nach drei Versuchen hielt er den um sich schlagenden und zappelnden Kobold in seinen großen Händen.
Er legte ihn auf den Boden und stieg sanft mit einem seiner Riesenfüße auf den Oberkörper des grün gekleideten Fabelwesens. Ja, er war ein Krieger – aber ein Gutherziger. Der Schiedsrichter zählte bis drei und der Kobold war besiegt. Endlich, dachte Banana, endlich habe ich es geschafft! Doch ehe er sich aus seiner vom Glück kommenden Schockstarre befreit hatte, sagte die grimmige Preisrichterin schon: „Nächster bitte…“.
Ein paar Tage später wurde ihm ein Brief mit einem Siegel, das er nur zu gut kannte, zugestellt. Sonst kam an diesem Punkt nur eine Absage, doch dieses Mal würde es anders sein! Das wusste der Riese. Mit aufgeregtem Gesichtsausdruck öffnete er erwartungsvoll die Nachricht. Und tatsächlich – er hatte es geschafft. El Plátano war bei dem Turnier angemeldet. Das Turnier, bei dem er jedem beweisen konnte und wollte, was in ihm steckte. So lange hat er auf diesen Moment gewartet und nun war er wirklich geschehen. Er verspürte Stolz, Fröhlichkeit und Ansporn zugleich. Völlig überfordert saß er an dem für seine Verhältnisse kleinen Küchentisch in seinem bescheidenen Häuschen. Banana wollte es aller Welt erzählen: „Ich bin beim Turnier dabei und werde gewinnen“.
Sein erster Kampf erfolgte direkt am ersten Tag. Schon früh morgens stand er bei dem prunkvoll gebauten Stadion und wartete in einer Schlange aus Angst einflößenden und starken Kriegern, um in den Vorbereitungsbereich gelassen zu werden. Der Mann hinter dem Anmeldetisch war ein grimmiger Troll. Trolle waren bekannt für ihr organisiertes Handeln, doch ganz bestimmt nicht für ihre Nettigkeit. Ganz im Gegenteil: Sie konnten ziemlich zynisch sein und sie waren oft, wenn nicht sogar immer, gereizt. Doch dieser schien alles zu verstecken. Seine ganze Frustration, seinen Zorn. Das war nicht üblich für seine Spezies. Das aber sollte Banana jetzt nicht interessieren. Er verriet ihm seinen Namen, der Troll gab ihm daraufhin eine Art Anhänger, auf dem sein Gesicht oberhalb seines Namens abgebildet war, und führte ihn einen mit brennenden Fackeln beleuchteten Gang entlang, der endlos schien.
Am Ende des Ganges angekommen, versuchte er eine schwere Tür mitsamt der schnippischen Bemerkung, „Du könntest mir auch zu Hilfe gehen“, zu öffnen. Da Banana sich, da er so weit gekommen war, keinen Ärger einhandeln wollte, drückte er die mit Schlössern übersäte Tür auf. Er fragte sich, wofür diese wohl von Nutzen waren, doch dann wurde er von dem Anblick der gigantischen Vorbereitungshalle überwältigt. Riesige Mosaike schmückten die Decke. Unzählige Krieger wärmten sich auf oder trainierten durch Kämpfe miteinander. „Dein erster Kampf beginnt in einer Stunde. Sei pünktlich oder komm gar nicht erst!“. Immer noch von der riesigen Halle geschockt, nickte Banana nur, denn er brachte kein einziges Wort aus seinem Mund.
Eine Stunde später ertönte aus einem Lautsprecher eine ihm bekannte, genervte Stimme: „El Plàtano, bitte ins Stadion! Ich wiederhole: El Plàtano, bitte ins Stadion!“. Durch einen weiteren, sich ewig ziehenden Gang erklang lauter, beinahe ohrenbetäubender Jubel. Außerdem war helles Licht an seinem Ende zu sehen. Deshalb entschied El Plátano, durch diesen hindurchzugehen.
Nachdem seine Augen sich an das grelle Tageslicht gewöhnt hatten, erblickte er das gigantische Stadion. Tausende von Zuschauern saßen rund um den Platz des Geschehens herum auf der Tribüne. Sie schrien, kreischten, jubelten und tröteten wild durcheinander. Doch der Blick des Riesen fiel auf einen auffällig geschmückten Bereich. Auf einen der in höchster Qualität verarbeiteten Stühle saß El Toro, der Titelträger des vor vielen Jahren veranstalteten und so manch anderem Turnier. Nach dem Sieg mussten die Gewinner für vier Jahre aussetzen. Banana hatte schon Gerüchte darüber gehört, dass der meistgefürchtete Kämpfer erneut an dem Wettkampf teilnehmen würde, doch er hielt jene für unwahr.
Nun aber, war er überzeugt, El Toro würde mitkämpfen und guckte zu, um mögliche Rivalen einzuschätzen und nach dem Kampf zu eliminieren. Den Wachen erzählte er anschließend, die Wettkämpfer wären wegen zu viel Druck geflüchtet. Ja, El Toro war bekannt für seine Grausamkeit, doch das Schlimmste daran war: Die Wachen hinterfragten ihn nicht, da sie zu viel Furcht vor dem muskulösen Zyklopen hatten. Dieser Gedanke aber sollte Banana jetzt nicht stören – jetzt da er so weit gekommen war.
Bevor er sich fragen konnte, wo sein Gegner aber geblieben war, erschien am anderen Ende der Arena eine Hexe mit einem Besen in der Hand und einer Handvoll Tränke an ihrem Gürtel. Nachdem der Ur-Riese, das war der Herrscher der ganzen Region, den Kampf beginnen lassen hatte, stieg die Hexe auf ihren Strohbesen. Elegant vollfühlte sie hoch in den Lüften einige Salti, was die Menge jubeln ließ, um danach mit vollem Tempo auf Bananas Kopf zu lenken. Sie kramte einen Trank aus ihrer Tasche, was nichts Gutes verhieß, und kurz bevor sie mit dem Kopf des Riesen kollidieren konnte, warf sie das Glas in sein Gesicht, machte eine steile Luftkurve und kreiste rund um Banana herum. Das Glas zersprang auf seiner Nase und er musste wohl oder übel merken, dass sie einen Trank der Kurzsichtigkeit auf ihn geschleudert hatte. Nun sah er nur noch das, was in einem Radius von drei Metern vor ihm geschah, was für einen Riesen nicht gerade viel ist, alles dahinter war dunkel wie die Nacht.
Die alte Zauberin warf weitere Tränke auf ihn, doch er konnte sie mit seiner Lanze abwehren. In diesem Moment bedauerte er es nicht, seine Sinne trainiert und somit geschärft zu haben. Er schwang seine Lanze ein paar Meter hin und her und traf die Hexe mit etwas Glück. Sie fiel zu Boden und ihre Besen zerbrach durch die Wucht des Aufpralls.
Erschöpft, des Sturzes wegen, lag sie am Boden. Banana erblickte seine Chance und trat sanft mit dem Fuß auf sie. Der Schiedsrichter zählte: „1 – 2 – 3!“, und sein Kampf war gewonnen. Er tat so als würde er mit seiner Lanze in den Körper der Hexe stechen doch er verfehlte absichtlich, das aber sahen die Zuschauer nicht und so jubelten sie. Der Riese kniete sich nieder, sodass die Zauberin ihn verstehen konnte und flüsterte ihr zu: „Stell dich tot, bis sie dich zu den Gefallenen bringen. Ich lenke die Wachen ab und lass das Hintertor des Stadions auf.“ Alles geschah, wie besprochen und die Hexe konnte flüchten, nachdem sie ihm viel zu häufig gedankt hatte. Anhand dieser Tat bewies er, wie schon so oft zuvor in seinem Leben, die Gutherzigkeit, die in ihm steckte.
Ähnlich geschah es in vielen weiteren Kämpfen, bevor das Finale begann. All denen, denen er zur Flucht vor dem sicheren Tod verholfen hatte, rieten ihm, sich weit von El Toro fernzuhalten. Und zu seinem eigenen Wohl tat er das auch, doch nun war es an der Zeit, ihn zu besiegen, den Schrecken aller Krieger, wie sie ihn nannten.
Er lief wie schon so oft ins Stadion, durch den schmalen, langen, selben Gang, den er auch durchquerte, um seinen ersten Kampf zu gewinnen. Als er das Stadion betreten hatte, jubelten die Zuschauer. Inzwischen hatte er viele Bewunderer und Fans. Der Kampf begann. El Toro stand ihm gegenüber und Banana spürte die Ruhe vor dem Sturm. Plötzlich fing der Zyklop an, auf El Plátano zu zurennen und einzustechen, er wütete geradezu. Doch der Riese wich seinen Dolchstichen flink aus und schlug mit seiner Lanze, die ihm schon einige Siege eingebracht hatte, zu. Ein Raunen ging durch die Menge, aber auch El Toros Reflexe waren nicht eingerostet und er konnte den Schlag abwehren.
Der spannende Kampf ging eine anstrengende halbe Stunde so weiter, bis der Zyklop so zornig wurde, dass er anfing Säulen, die für das Stützen des Stadions zuständig waren, mit voller Wucht auf Banana zu schleudern. Diesen jedoch interessierte das kein bisschen, denn er war gerade damit beschäftigt, das panische Publikum zu retten. Dann aber übernahm diese Aufgabe die Wachen und sagten ihm, er solle El Toro ablenken. Das tat er auch und so setzte sich der erbitterte Kampf fort, während die Zuschauer zügig aus der Arena flüchteten.
El Toro hatte inzwischen so viele Säulen aus dem Stadion gerissen, um seinen Rivalen auszuschalten, dass dieses über dem Bösen und dem mutigen Kämpfer zusammenbrach. Sie wurden unter tausenden Felsen begraben, sodass ein Entkommen unmöglich war. Doch das Volk war gerettet.
Auch heute noch erzählen sich Wanderer, die an dieser Stelle vorbeikommen, sie würden ein zorniges Brüllen und ein erleichtertes Lachen hören. Die Mutigen, die sich ganz nah an die Ruinen der ehemaligen Kampfarena auf dem Gipfel des Lusen wagen, sprechen sogar von kalten Händen, die ihnen am Rücken entlang streifen. Man sagt, es seien die jener, die bei den grausamen Kämpfen, außer bei Bananas natürlich, umgekommen sind. Doch der mutige Riese änderte dies und ließ die Kämpfe weniger brutal werden.
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